1905 bis 1991

Dr. Alfons Goppel

...war einer der erfolgreichsten bayerischen Ministerpräsidenten. Auf dieser Seite möchten wir seine Geschichte erzählen.
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Familienleben

Alfons Goppel – Landesvater und Familienvater zugleich. Wir kennen ihn meist als Politiker und Reformer. Wie lief sein Leben zu Hause ab? Sein Sohn Dr. Thomas Goppel erinnert sich zurück an eine politisierende Zeit.

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ab 1930

Politische Anfänge

Alfons Goppel hatte es zu Beginn seiner Karriere nicht leicht. Eine Rolle dabei spielte auch seine damalige Mitgliedschaft in der SA und NSDAP. Wie kam es dazu?

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ab 1962

Bayerns heimlicher Modernisierer

Naturschutz, Universitätsgründungen, Gebietsreform - Alfons Goppels Zeit als Ministerpräsident war ein einziges Feuerwerk an Reformen. Wie kommt es, dass er uns nicht bekannter ist?

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ab 1980

Die Alfons Goppel-Stiftung

...verhilft jungen Menschen in Entwicklungsländern zu einer Ausbildung.

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Alfons Goppel als Ministerpräsident: Bayerns heimlicher Modernisierer

Von David Kernstock und Philipp Ulrich Abele

Odeonsplatz, Feldherrnhalle – München am Abend des 6. November 1978. Die Fackeln der Kompanien der Bayerischen Gebirgsschützen leuchten in den Münchner Nachthimmel; Trompeten und Hörner tönen zum Defiliermarsch: Die ersten Takte am Ende einer Ära – es ist das letzte Geleit für Alfons Goppel. Für den Mann, der dem Freistaat Bayern 16 Jahre als Ministerpräsident vorstand.

16 Jahre. 16 politische Jahre, die rückblickend aus heutiger Sicht wie ein Feuerwerk erscheinen – als Feuerwerk der Reformen: Schulreform, Hochschulliberalisierung, Fachhochschulgesetz und fünf Universitätsgründungen, Gebietsreform und Flurbereinigung im ländlichen Raum, der Anfang des gesetzlichen Denkmal- und Naturschutzes, die Einrichtung von Nationalparks, und nicht zuletzt: eine ganze Reihe von Infrastrukturprojekten. Vom heutigen Flughafen im Erdinger Moos über die U-Bahn Münchens bis hin zu Erdölraffinerien in Ingolstadt mit Anbindung an das Mittelmeer. Wie war so viel Neues möglich? War Alfons Goppel der Antreiber in die industrialisierte Moderne Bayerns? Und gab es bei all diesen Reformen immer die Zustimmung, die 16 Jahre Bayerische Staatsregierung unter dem Ministerpräsidenten Goppel vermuten lassen? Wir haben diesen Fragen nachgespürt.

In eine neue Zeit: Erst Energie – dann Industrie

Vieles verbinden Menschen außerhalb Bayerns heute mit dem Freistaat im Süden. Auch wirtschaftliche Stärke gehört dazu. Anfang der 1960er-Jahre war dies noch gänzlich anders: Der Flächenstaat Bayern war geprägt durch Landwirtschaft. Bereits zum Amtsantritt Goppels jedoch, 1962, war die Perspektive der vielen bayerischen Kleinbauern und landwirtschaftlichen Höfe schwierig geworden. Wie weiter umgehen mit der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit kleiner Höfe? Mit dem heftigen Preisdruck durch die Vernetzung europäischer Märkte? Was tun gegen den zunehmenden Konzentrationsprozess im Sektor? Goppel war sich der schwierigen langfristigen Lage durchaus bewusst. „Es gehe […] darum“, so Goppel intern zur CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, „nicht nur Federn zu lassen, sondern anderswo Federn dazu wachsen zu lassen“.

Abhilfe war nach Goppel nur durch eine Verlagerung möglich: Bayern müsse den Sprung vom Primärsektor und der dominierenden Landwirtschaft hin zu einem starken Industrieland schaffen. Das sollte die Beschäftigung hochhalten und das Bundesland zu Stärke führen – denn Bayern war im Länderfinanzausgleich ein Empfängerland: Es empfing Geld, es gab nicht. Das würde sich innerhalb der nächsten 16 Jahre ändern.

Um eine starke Industrie aufzubauen und anzuziehen, so ein leitendes Gebot Goppels und des langjährigen bayerischen Wirtschaftsministers Otto Schedl, müsse das Land jedoch über günstige Energie verfügen. Freilich lagen die Energielösungen der damaligen Zeit anders vor, als dies ökologische und nachhaltige Forderungen von heute nahelegen. Für die 60er-Jahre jedoch bedeuteten einige Energieerzeuger – heute fast allesamt abgestellt – einen echten Fortschritt: Die Atomkraftwerke Gundremmingen an der Donau, Niederaibach und Ohu bei Landshut, sowie die Ansiedlung von Erdölraffinerien im Raum Ingolstadt und Neustadt an der Donau. Letztere schafften es, den Erdöl- und Heizölpreis in Bayern zu senken; sie beschleunigten damit allerdings auch das Ende des bayerischen Kohle-Bergbaus, wie etwa in Peißenberg.

Die Shell-Raffinerie in Ingolstadt bei ihrer Eröffnung 1963
Aus: HSS/ACSP, NL Goppel Alfons Fotoalbum: 1963/8/1

Mit dieser Energiepolitik verhalf die Bayerische Staatsregierung dem Bundesland, seinen Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen, zu günstigen Strom- und Energiepreisen. Die 70er-Jahre setzten große wirtschaftspolitische Wegmarken: Das Mittelstandsförderungsgesetz von 1974 etwa, hatte Vorbildcharakter für die ganze Bundesrepublik. Es erleichterte wirtschaftliche Selbstständigkeit, es regelte Gründungen und es verpflichtete Staat und Kommunen darin, bei Fördermaßnahmen kleine und mittlere Unternehmen zu berücksichtigen.

Der Aufbau der Infrastruktur Bayerns

Noch stärker ins Gewicht der Amtszeit von Alfons Goppel fällt der Ausbau der Infrastruktur in Bayern. Allen voran die Universitäten. Nicht weniger als fünf Universitätsgründungsgesetze fallen in seine Zeit: Die Universität Regensburg wurde noch unter dem vorigen Ministerpräsidenten Hans Ehard beschlossen (1962), dann folgten Augsburg (1969), Bayreuth (1971), Bamberg, Eichstätt und Passau (alle 1972) innerhalb weniger Jahre. Der Universitätsausbau korrespondierte mit dem flächendeckenden Ausbau von Realschulen und Gymnasien in Bayern: Allein zwischen 1964 und 1970 wurden 175 neue zusätzliche Gymnasien geschaffen – nun auch in den ländlichen Regionen Bayerns. Aber nicht nur die Zahl der Schulen und Universitäten nahm zu. Auch funktional erweiterte sich das Spektrum von Lehre und Forschung: Das bayerische Fachhochschulgesetz von 1970 schuf in Bayern die stärker praxisorientierten Fachhochschulen.

Die Bildungsexpansion ab Ende der 50er-Jahre erwuchs aus so unterschiedlichen Ursachen wie: geburtenstarken Jahrgängen, einer Ausdifferenzierung der Berufsfelder und der Notwendigkeit neuer, dafür angemessener Ausbildungswege. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass in den 60er-Jahren erstmals verstärkt Debatten über Chancengleichheit, also die Erwartung an vergleichbare Bildungschancen für Heranwachsende, aufkamen. Sie waren ihrerseits Grund für die Politik, im Bildungsbereich erhebliche Investitionen vorzunehmen.

Bei allem gilt: Die Tätigkeit des Freistaats Bayern in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern war freilich nicht nur das Werk Goppels alleine. Es kennzeichnete seine Amtsführung, dass er seinen Ministern große Freiheiten bei der Führung ihrer Ressorts ließ. Der Bildungsbereich ist hier ein gutes Beispiel: Ab 1964 führte der junge und reformfreudige Ludwig Huber das Kultusministerium, 1970 folgte der wissenschaftlich arrivierte Hans Maier. Er hatte das Amt bis zu seinem Rücktritt 1986 inne. Mit beiden, Ludwig Huber und Hans Maier, ist die Entwicklung des bayerischen Schul- und Hochschulwesens in der Nachkriegszeit untrennbar verbunden.

Grundsteinlegung der Universität Regensburg am 11. November 1967
Aus: Wagner, Christoph (Hrsg.), 50 Jahre Universität Regensburg: Festschrift 2017. Regensburg: Universitätsverlag Regensburg 2017, S. 59
Ministerpräsident Alfons Goppel: Rede zur Eröffnung der Universität Regensburg am 11. November 1967 (Auszug)
Aus: Universitätsarchiv Regensburg, Rep. 131 Audiovisuelle Sammlung, Nr. 4

Auch weitere Großprojekte wurden in Bayern in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre vorangetrieben: Der Zuschlag zu den Olympischen Spielen 1972 in der Stadt München bedeutete eine erhebliche Veränderung der Stadt und setzte baupolitisch neue Dimensionen: Ein ganzes Olympisches Dorf als „Stadt in der Stadt“ im Nordwesten, das Olympiastadium und der Fernsehturm, aber auch die erste Münchner Untergrundbahn (U-Bahn) entstanden in Vorbereitung auf die olympischen Sommerspiele 1972 (in Nürnberg feierte die U-Bahn ein Jahr später ihren Start).

„Er war ein Landesvater.“

Hans-Jochen Vogel (SPD) über Alfons Goppel

Die Zusammenarbeit der Stadt München mit dessen Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) und dem Freistaat mit Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) erfolgte hier trotz der unterschiedlichen Parteizugehörigkeit in guter Abstimmung. Vogel erinnerte sich Jahrzehnte später an den Moment, der das Großprojekt Olympiabewerbung im Herbst 1965 möglich machte: „Dann bin ich zum bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel (CSU) in die Staatskanzlei gegangen: ‚Jawohl, Bayern beteiligt sich und stimmt zu‘, erklärte er zu meiner Freude sehr schnell. Das habe ich Alfons Goppel nie vergessen.“

Die vielerorts gestaltende Hand der bayerischen Politik fand aber nicht nur Freunde und Unterstützer. Parallel zu den beschriebenen Großprojekten deutete sich in Ansätzen an, was anhand anderer Beispiele in den Folgejahrzehnten noch zunehmen würde: Der Unwille und Protest betroffener Bürger. Ein Beispiel: Das europäische Kernforschungszentrum CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) plante ab 1962 eine Erweiterung seiner Forschungsstandorte mit dem Bau eines weiteren Teilchen-Beschleunigers für die kernphysikalische Grundlagenforschung.

Goppels Bemühung im Verbund mit dem Forschungsministerium des Bundes in Bonn war es, die Anlage im Ebersberger Forst nahe München anzusiedeln. Dies scheiterte. Gar nicht so sehr die Ansiedlung von Atomforschung – sie wurde damals als fortschrittliche Technologie von allen Parteien begrüßt -, sondern die Ortswahl Ebersberger Forst, war Stein des Anstoßes. Die starken Proteste von Bürgerinitiativen im Jahr 1965 aufgrund der geplanten landschaftlichen Eingriffe ließen das Vorhaben immer unwahrscheinlicher werden. Die Forschungseinrichtung siedelte sich dann bei Genf an. Es war das erste Mal, dass der Bayerische Landtag zu einer breiten Diskussion über Umwelt- und Naturschutz ansetzte, beim Für und Wider zu einem infrastrukturellen Großprojekt.

Die Debatten um die CERN-Ansiedlung und die zunehmende Sensibilisierung für ökologische Belange brachten aber auch Gutes: Die Politik reagierte schnell. Mit einem Bündel von Maßnahmen wollte die Bayerische Staatsregierung unter Dr. Alfons Goppel dem aufkommenden Umweltbewusstsein beikommen. Nach dem Landtagsbeschluss vom Sommer 1969 eröffnete ein Jahr später der „Nationalpark Bayerischer Wald“ als erster Nationalpark in Deutschland. 1978 folgte der „Alpen- und Nationalpark Berchtesgadener Land“. Beide Nationalparks wurden unter Führung des bayerischen Landwirtschaftsministers Hans Eisenmann entwickelt, der 1969 auf den in der bayerischen Politik lange Zeit sehr einflussreichen Alois Hundhammer folgte.

Der Lusen im Bayerischen Wald (Bild der 80er-Jahre)
Foto: Heinz Rosenlehner / Archiv Nationalpark Bayerischer Wald

Das Jahr 1970 war aber nicht nur das Jahr der Eröffnung des ersten Nationalparks – es war auch das Jahr der Errichtung eines eigenen bayerischen Umweltministeriums (Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen). Als erstes seiner Art in Deutschland war es unter Führung des ersten Umweltministers und späteren Ministerpräsidenten Max Streibl zuständig für verschiedene Aufgaben: Raumordnung und Landesplanung, Gefahrenschutz in Natur, Landschaft, Boden, Wasser und der Luft, Landschaftspflege sowie Freizeit und Erholung.

„Die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen durch die zunehmende Technisierung der Welt und den unkontrollierten Egoismus der einzelnen lässt es nicht zu, den Umweltschutz heute noch von den Ministerien gesondert unter den verschiedensten Teilaspekten wahrzunehmen.“ – so das Argument Goppels im Bayerischen Landtag zur Gründung des Ministeriums. Trotz heftigen Widerstands des damaligen Wirtschaftsministers Otto Schedl wurde der Geschäftsbereich der Landesplanung aus dem Wirtschaftsministerium gelöst und im neuen Staatsministerium von Max Streibl angesiedelt.

Für den heutigen Kontext nicht mehr so klar verständlich: Dies war weit mehr als der Umgang mit einem Begriff. Die 60er-Jahre standen ganz im Zeichen der ‚Planung‘. „Planung ist der große Zug unserer Zeit“, notierte der Jurist Joseph Heinrich Kaiser. Das bedeutete: Von der Politik auf Bundes- und Landesebene erwartete man Vorausschau, eine langfristige Entwicklung und gestalterische Perspektive. Ministerien erstellten mehrjährige Pläne und Entwicklungsprogramme. Bund und Länder erließen 1965 etwa das Raumordnungsgesetz, das dem Bund eine eingeschränkte Kompetenz zu einer bundesstaatlichen Raumordnung überließ. Fast alle Länder erließen in der Folge bis 1974 eigene Landesplanungsgesetze und Regionalplanungen. Die Raumordnung von Regionen und Gemeinden spielte darin eine bedeutende Rolle, Nordrhein-Westfalen und Hessen waren hier Vorreiter der Entwicklung.

Auf die Barrikaden: Eine Reform spaltet den Freistaat

Doch wo zentral Planung vorgegeben wird, ist dezentral Widerspruch oft nicht weit – das zeigte sich vermehrt ab Mitte der 60er-Jahre. Und so ist die Regierungszeit von Alfons Goppel nicht nur die Erzählung stetigen Aufstiegs. Die damalige Offenheit politischer Richtungsgestaltung zeigt sich gerade an kontroversen Themen der Zeit. Das Scheitern der bereits erwähnten CERN-Ansiedlung oder der Beginn der jahrzehntelangen politischen Hängepartie um den Rhein-Main-Donau-Kanal sind treffliche Beispiele: Nicht jede Entwicklung ließ sich im Voraus planen. Ein Minister sollte dies über die 70er-Jahre hinweg besonders zu spüren bekommen: der bayerische Innenminister Bruno Merk.

Am 9. November 1971 billigte der Bayerische Landtag ein Gesetz aus dem Haus des Innenministers Merk – die erste mehrerer gestalterischer Maßnahmen, die sich im Laufe der 70er-Jahre zum Spaltpilz der bayerischen Innenpolitik entwickelten: Die Gemeindegebietsreform hatte begonnen.

„Wichtigste innenpolitische Aufgabe der Legislaturperiode“

Alfons Goppel, in seiner Regierungserklärung 1967 über die Gebietsreform
Zu Beginn noch munter, später nicht mehr: Alfons Goppel, Franz Josef Strauß und Bruno Merk (v.r.n.l.) bei einer Besprechung zur Gebietsreform in Bayern
Aus: HSS/ACSP, Ph P: Merk Bruno : 1/1 – Fotograf Rolf Sanzenbacher

Tatsächlich war die politische Strategie nicht schlecht gewählt – eigentlich. Die mehrstufige Gebietsreform im Freistaat sollte erst dort abgesichert werden, wo ihr Konfliktpotential innerhalb der Bevölkerung niedrig war. Das erste Reformgesetz galt daher der Landkreisreform. Zum 1. Juli 1972 schrumpfte die Zahl der bayerischen Landkreise von 143 auf 71.

Die Veränderung erheblich: Der Zuschnitt der bayerischen Landkreise vor der Reform, 1970
Eigene Bearbeitung (Max Greger), nach: Immanuel Giel (2006): Landkreis Donauwörth (gemeinfrei)

In einer zweiten Stufe war mit der kommunalen Gemeindereform das Potential für politischen Zündstoff mit den neugeplanten, vergrößerten Gemeindezuschnitten deutlich höher: Gewachsene Dörfer waren Identitätsanker für ihre Bürger. Gewachsene Dörfer fusionierten ungern mit unliebigen Nachbarn. Auf einer Ebene, die im Wortsinn ’näher am Menschen‘ angelegt ist, hatten allgemeine Rechenbeispiele und Richtwerte, mit denen die Vorteile der Reform im Großen verkauft wurden, einen schweren Stand. Denn eine generell-abstrakte gesetzliche Regelung wie die Gemeindegebietsreform musste naturgemäß individuelle dörfliche Besonderheiten unterschlagen, um ihren Zweck zu erreichen.

Staatsminister Bruno Merk (zusammen mit Staatssekretär Erich Kiesl) musste die Gebietsreform wie Alfons Goppel auch in der eigenen Partei verteidigen, hier eine Beilage des Bayernkuriers aus dem Jahr 1971
Aus: HSS/ACSP, Z-BK 1971-33-Beilage-S1

Wegen der jahrelangen, hitzigen Debatten, die vor Ort und wiederholt auch in Form von Demonstrationen in München ausgetragen wurden, waren die Anpassungen und Abänderungen dann auch am größten: Nicht mehr nur Gemeinden ab 5.000 Einwohnern – wie einst im Richtwert vorgesehen – sondern bereits Gemeinden ab 2.000 Einwohnern (zum Teil auch noch kleinere) durften ihre politische Eigenständigkeit behalten. Noch kleinere Gemeinden gingen in den meisten Fällen in Form neuer Verwaltungsgemeinschaften mit anderen Gemeinden auf. Im Einzelnen entwickelten sich in diesem Streitpunkt zum Teil erbitterte politische Schlachten um den Erhalt von Gemeinden – Ermershausen in Unterfranken erlangte 1978 mit dem hartnäckigen Widerstand seiner Bevölkerung einen besonderen Bekanntheitsgrad. Die Verordnung des Freistaats wurde hier 1978 mit Zwang durchgesetzt.

Es mutet vor dem Hintergrund dieses Beispiels etwas kurios an, dass die Reform die kommunale Selbstverantwortung eigentlich stärken sollte und der Freistaat den Kommunen keineswegs Kompetenzen streitig machen wollte. Seit den 50er-Jahren waren die Bedürfnisse von Bürgerseite deutlich gestiegen: Kindergärten, öffentliche Schwimmbäder, Spiel- und Sportplätze, Büchereien, Grund- und Hauptschulen oder eine Gesundheitsversorgung durch Krankenhäuser auch in der Fläche: Die Nachfrage an den Staat auf kommunaler Ebene stieg fast parallel zum Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre. Für kleine Gemeinden mit wenigen hundert Bürgern könne man diese Leistungen in der Breite nicht bereitstellen – so das Denken bei den Reformern in Politik und Verwaltung. Auch der Abwanderung in die Städte sollte durch größere Gemeinden mit mehr Leistungsvermögen und Infrastruktur begegnet werden.

Was aber war das Ergebnis der Reform? Vor dem Hintergrund betroffener Identitäten lesen sich die Unterschiede deutlich: Die Zahl der bayerischen Landkreise halbierte sich wie erwähnt von 143 auf 71, kreisfreie Städte verblieben in Bayern noch 25 im Vergleich zu 43 vor der Reform. Die Zusammenlegung von Gemeinden auf kommunaler Ebene lässt das Ausmaß betroffener Identitäten erahnen: Von 7.073 bayerischen Gemeinden gab es hinterher noch 2.052. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern hatte die Gebietsreform in Bayern den höchsten Gemeinderückgang zu verzeichnen – ein Ausdruck seines Flächenstaates. Eine gewaltige Veränderung Bayerns war so vollzogen worden.

Trotz Gebietsreform auf Kurs: Der Beginn der absoluten Mehrheiten

Ausläufer des Protests zur Gebietsreform wirkten auch weit nach dem erklärten Abschluss der Reform 1978 weiter. In den Köpfen mancher Bürger kam die Reform zum Teil bis heute nicht zum Abschluss. Ermershausen kämpfte für seinen Drang nach Unabhängigkeit noch jahrzehntelang weiter und erlangte 1994 wieder den Gemeindestatus – als kleinste Gemeinde Unterfrankens. Aber auch auf Landkreisebene waren Veränderungen prägend: Die Aichacher Gegend bei Friedberg beispielsweise – jahrhundertelang altbayerisches Gebiet und mit dem Kloster Scheyern Stammsitz der Wittelsbacher – fand sich auf einmal im Regierungsbezirk Schwaben wieder, Neuburg an der Donau wiederum in Oberbayern.

Trotzdem hinterließen selbst derart konfliktreiche Auseinandersetzungen wie die Gebietsreform an der federführenden Politik in Bayern keinen Makel. Eher im Gegenteil – denn die Wahlergebnisse der CSU waren stark. Wie schaffte es Alfons Goppel, wie schaffte es die CSU mit Franz Josef Strauß, sich trotz dieser unpopulären Reform in der Wählergunst nach oben zu katapultieren?

Zum einen war es sicher der enorme wirtschaftliche Aufschwung, den Bayerns Bürger dem Kurs der CSU und der Bayerischen Staatsregierung anrechneten: Die bayerische Wirtschaft wuchs ab den 1960er-Jahren kräftig. Von 1960 bis 1975 um heute kaum mehr greifbare 234 Prozent. In Zahlen der allgemeinen Wirtschaftsleistung ausgedrückt: von 32,7 Mrd. Deutsche Mark auf 109,2 Mrd. Deutsche Mark. Dieses Wachstum übertraf bei weitem den Bundesdurchschnitt. Vielleicht war es aber auch gerade die Ehrlichkeit zum politischen Handlungsbedarf, die mancher Wähler schätzte: „Die Bürger honorieren es eher, wenn jemand etwas Notwendiges tut, auch dann, wenn es im Einzelfall unpopulär ist, als wenn er notwendige Entscheidungen vor sich herschiebt“, so jedenfalls die Bewertung des Innenministers Dr. Bruno Merk zur großen bayerischen Kontroverse der Gebietsreform und ihren möglichen politischen Konsequenzen.

Eine neue politische Arithmetik: Alfons Goppel und Franz Josef Strauß nach der für die CSU erfolgreichen Landtagswahl 1970
Aus: HSS/ACSP; Z-BK 1970: 48, Seite 2 – Bayernkurier

Was auch immer die Ursache war: An Wahlergebnissen zeigt sich der Erfolg von Politik und die Akzeptanz der Bürger – für die CSU war es der Beginn ihrer Erfolgsjahrzehnte. Entscheidend für die Landespolitik sind seit jeher die Wahlen zum Bayerischen Landtag. Bereits die Wahl 1962 war ein erster Erfolg. Alfons Goppel war hier als Bewerber um das höchste bayerische Amt noch als überraschender „Kompromisskandidat“ zwischen den CSU-Parteiflügeln hervorgegangen. Die CSU erzielte daraufhin ein Wahlergebnis von 47,5%. Während die CSU in Folge der Wahl noch ein Bündnis mit der deutlich kleineren Bayernpartei (BP) einging, erreichte sie im Folgejahrzehnt zwischen 1966 und 1974 stetig wachsende absolute Mehrheiten. Der Erfolg der CSU unter Ministerpräsident Dr. Alfons Goppel zeigte sich besonders deutlich bei dem Rekordergebnis der Landtagswahl 1974: 62,1 Prozent der Wählerstimmen und bis heute das beste Wahlergebnis der CSU.

Alles in allem waren die 16 Regierungsjahre unter Alfons Goppel eine Zeit des Wandels, und von beherzten und zum Teil mutigen Reformen. Ihren dennoch ruhigen und ausgeglichenen Landesvater, wie Alfons Goppel während seiner Amtszeit immer häufiger anerkennend genannt wurde, hat eine große Mehrheit der Bayern gerne akzeptiert. Wahrscheinlich hätten die Bayern den Strukturwandel auch deshalb etwas gelassener hingenommen, weil sie eine integre und die bayerische Identität wahrende Person an ihrer Spitze wussten- so deutete dies vor ein paar Jahren der bayerische Landeshistoriker Ferdinand Kramer.

Das Ruder der bayerischen Politik ging 1978 in die Hände einer anderen bedeutenden Person der deutschen und bayerischen Politik über: Franz Josef Strauß. Die gesamte Zeit der Regierungsjahre Goppels war Strauß bereits Parteivorsitzender der CSU. Das Verhältnis der beiden CSU-Größen war nicht immer spannungsfrei. Aber die Betrachtung ihres Wirkens mit Blick auf Bayern kann man nicht getrennt voneinander sehen. Neben dem wortgewaltigen ‚Kraftwerk‘ Strauß, dem Liebling der Partei und bis heute deren Identifikationsfigur, wirkte Dr. Alfons Goppel vergleichsweise zurückhaltend. Als Ministerpräsident prägte Goppel neben den repräsentativen Funktionen, die das Amt mitbrachte, vor allem auch durch weisende Richtlinien, die bayrische Politik. Sein Mut und seine Kraft, Verantwortung tragen zu können und zu wollen, formten aus ihm den ruhigen, starken Pfeiler im politischen Gewässer, der Bayern zum modernen und fortschrittlichen Bundesland machte. Da der bayerische Aufstieg oft vor allem mit seinem Nachfolger als Ministerpräsident, Franz Josef Strauß, in Verbindung gebracht wird, bleibt Alfons Goppel trotz seiner langen Amtszeit als Ministerpräsident Bayerns eher als heimlicher Modernisierer Bayerns in Erinnerung.

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